#FundstückDesMonats | August 2022

Einband "Album Artistique", Reine Hortense © Susanne Wosnitzka
Einband “Album Artistique”, Reine Hortense © Susanne Wosnitzka

Bislang stellten wir in unserer #FundstückDesMonats-Reihe passend zu unserem DDF-Projekt #WIMUGG! digitalisierte historische Konzertprogramme vor. Für den August möchten wir einen anderen Weg einschlagen und dafür eines der „wundervollen Dinge“[1] aus unserer Schatzkammer ins Licht der Öffentlichkeit rücken: Einen Original-Notenprachtdruck der niederländischen Königin Hortense de Beauharnais (1783–1837), Mutter des französischen Kaisers Napoleon III. (1808–1873), das wir im Jahr 2017 von einem Antiquariat erwerben konnten.

Gold und Bienen

Der Band ist Querfolioformat, gefasst in der Farbe Elfenbein und Gold mit vier goldenen Bienen in den Ecken als Herausgabe des berühmtesten französischen Verlegers Heugel & Cie in oder nach 1839. Hortense de Beauharnais besaß in ihrem Exil auf Schloss Arenenberg ein Bienenhaus. Jedenfalls wurde das wunderschöne Druckwerk – das auch eingelegte Bildwerke zeigt, die durch feines Papier geschützt werden – also nach Hortenses Tod geschaffen. Es enthält neben zahlreichen colorierten Stichen von Naturumgebungen ein Portrait von Hortense, in dem sie eine viersaitige Lyra in der Hand hält, begleitet von einem Putto, der ein Tamburin schlägt, und einem weiteren, der eine Fackel in der Hand trägt. Enthalten ist außerdem eine in Französisch verfasste Biografie.

Unglückliche Ehe

Hortense hatte 1802 einen der vier Brüder von Kaiser Napoleon I. – Louis (1778–1846) – geheiratet und wurde 1806 durch ihn zur Königin der Niederlande, jedoch verlief diese arrangierte Ehe nicht glücklich. Hortense litt unter der immensen Eifersucht ihres Mannes, der sie permanent bespitzeln ließ. Mit Hilfe von Kaiser Napoleon I. konnte sie Louis die gemeinsamen Kinder entziehen. Die Trennung erfolgte 1810. Weil Hortense Napoleon I. 1815 zu erneuter Macht verhalf, wurde sie aus den Niederlanden verbannt. Von 1817 bis 1822 lebte sie mit ihrem Sohn, dem späteren Napoleon III., in der Hl.-Kreuz-Straße 25 in Augsburg. Ihr heute nicht mehr existierendes Anwesen entwickelte sich zu einem der gefragtesten gesellschaftlichen Zirkel der Fuggerstadt.

Wahrscheinlich schrieb sie u. a. dort an den uns hier vorliegenden 12 kurzen Liedern bzw. Romanzen für Klavier und Stimme, die sich fein lithographiert in jenem Album Artistique befinden. Mit abgedruckt findet sich eine Beschreibung ihrer Visite à Augsbourg und auch ein Faksimile eines in Augsburg verfassten Briefs an einen Monsieur le Comte aus dem Jahr 1819. Mangels einer Inhaltsangabe finden sich hier alle 12 Lieder aufgelistet:

1. M‘entends-tu!, pour Baryton ou Contralto, gravée pour Tenor et Soprano (H[eugel].1558), 3 Strophen
2. Les jeunes rèves d’amour, pour Baryton ou Contralto, gravée pour Tenor et Soprano (H. 1554), 4 Strophen
3. Peu comme point troublée, pour Baryton ou Contralto, gravée pour Tenor et Soprano (H. 1526), 3. Strophen
4. Une larme, pour Baryton ou Contralto, gravée pour Tenor et Soprano (H. 1522), 3 Strophen
5. L’aveu, pour Baryton ou Contralto, gravée pour Tenor et Soprano (H. 1520), 3 Strophen
6. Je l’ai reçu, pour Baryton ou Contralto, gravée pour Tenor et Soprano (H.1528), 3 Strophen
7. Penser à toi, pour Baryton ou Contralto, gravée pour Tenor et Soprano (H.1340), 4 Strophen
8. L’ai de l’exil, pour Tenor ou Soprano, gravée pour Baryton ou Contralto (H.1325), 4 Strophen
9. M‘oublieras-tu, pour Baryton ou Contralto, gravée pour Tenor et Soprano (H.1336), 4 Strophen
10. Le Chant du Berceau, pour Baryton ou Contralto, gravée pour Tenor ou Soprano (H.1332), 3 Strophen
11. Autre ne sers, pour Tenor ou Soprano, gravée pour Baryton ou Contralto (H.1319), 3 Strophen
12. Devine-moi, pour Tenor ou Soprano, gravée pour Baryton ou Contralto (H.1331), 3 Strophen.

Hortense de Beauharnais © wikimedia.commons (gemeinfrei)

Sie finden alle Lieder auch zum Downloaden als s/w-Kopie hier.

Partant pour la Syrie – Superhit

Im Jahr 1808 entstand ein ganz besonderes Lied, das für einige Jahre zur sehr beliebten, aber inoffiziellen Hymne Frankreichs wurde: Partant pour la Syrie. Für etliche Jahrzehnte wurde es Louis-François-Philippe Drouet, einem Flötenspieler an Hortenses Hof, zugeschrieben. Neuere Forschung belegt allerdings, dass es tatsächlich aus der Feder Hortenses stammt.[2]

Ein Beleg findet sich dazu in ihren Memoiren der Zeit zwischen 1815 und 1817, in denen sie auch über ihr Komponieren schreibt; sie bestätigt darin auch, dass Partant pour la Syrie bereits in der Kriegszeit um 1809 gesungen wurde:

“Ma seule occupation, dans la retraite où je vivais, était de composer de tristes romances. Je les faisais facilement. Le mouvement d’un salon même ne m’était pas désagréable. Partant pour la Syrie fut faite à la Mal-maison lorsque ma mère jouait au tric-trac. Elle eut du succès et fut chantée pendant la guerre de 1809, comme la Sentinelle l’avait été pendant la guerre d’Espagne. Depuis, à chaque campagne, on venait me prier d’en donner une, ce que je faisais toujours avec peine, car je n’aimais pas à passer pour un auteur, réputation trop brillante pour mon faible talent. A Constance, je n’avais que peu de livres et aucun recueil de poésies où je pusse trouver des paroles. J’avais fait autrefois quelques couplets pour mon frère; j’essayai d’en composer, mais l’obligation de trouver une rime, de me renfermer dans une mesure me fatigua bientôt et, après quelques mauvais vers, j’en restai à la musique.”
(deutsch: “Meine einzige Beschäftigung in der Zurückgezogenheit, in der ich lebte, bestand darin, traurige Romanzen zu komponieren. Sie fielen mir leicht. Selbst das Kommen und Gehen im Wohnzimmer war mir nicht unangenehm. Partant pour la Syrie entstand in Malmaison, als meine Mutter Tric-Trac spielte. Sie [die Hymne] war ein Erfolg und wurde im Krieg von 1809 gesungen, so, wie Sentinelle im Spanischen Krieg gesungen worden war. Seitdem kam man bei jedem Feldzug auf mich zu und bat mich, eine [weitere Hymne] zu schreiben, was ich immer nur ungern tat, da ich es nicht mochte, als Autor zu gelten, ein Ruf, der für mein schwaches Talent zu glänzend war. In Konstanz hatte ich nur wenige Bücher und keine Gedichtsammlung, in der ich hätte Texte finden können. Doch der Zwang, einen Reim zu finden und mich in ein bestimmtes Metrum zu zwängen, ermüdete mich bald, und nach ein paar schlechten Versen blieb ich bei der Musik.”)[3]

Im sog. Zweiten Französischen Kaiserreich zwischen 1851 und 1870 erlebte dieses Lied eine Renaissance.

In der Stadt am Lech (die auch mit Beethovens Klavierbauerin Nannette Streicher geb. Stein und nun nachweislich auch mit Clara Schumann aufwarten kann) ging Hortenses Sohn zur Schule, und zwar ans Gymnasium bei St. Anna, einer bereits damals hochrenommierten Studieneinrichtung für Söhne des gehobenen Bürgertums, heute für alle Kinder offen. Als einst ein Klassentreffen der Ex-St.-Anna-Schüler stattfinden sollte, zu dem Napoleon III. nicht kommen konnte, schickte dieser als Entschädigung und zur hellen Freude seiner ehemaligen Mitschüler „eine erkleckliche Quantität“ an Flaschen von bestem französischem Champagner, so anekdotisch nachzulesen in einer historischen Augsburger Tageszeitung.[4]

Stoßen wir heute also lieber auf diese Meisterin und Pionierin der petites romances pour le piano an, die meines Wissens nach noch nie in Augsburg aufgeführt wurden.

 

Einzelnachweise
[1] Zitat von Howard Carter, als er durch ein Loch in der Tür in die Vorkammer des Grabs von Pharao Tut-anch-Amun blickte. Vgl. Andreas Austilat: “Können Sie etwas sehen?” – “Ja, wunderbare Dinge”. Tagesspiegel-Artikel 28. Januar 2009, online unter: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/geschichte/archaeologie-koennen-sie-etwas-sehen-ja-wunderbare-dinge/1461668.html (Stand: 20. Juli 2022).
[2] Vgl. Fondation Napoleon (Hg.): Partant pour la Syrie or le beau Dunois. Music by Queen Hortense de Beauharnais, words by Comte Alexandre de Laborde, online unter: https://www.napoleon.org/en/magazine/napoleonic-pleasures/partant-pour-la-syrie-or-le-beau-dunois/ (Stand: 20. Juli 2022).
[3] Louis-Napoléon Bonaparte (Hrsg.): Mémoires de la Reine Hortense , Band 3 (mit Anmerkungen von Jean Hanoteau), Nachdruck der Librairie Plon, Paris 1927, S. 11 8f., Digitalisat, abgerufen am 19. Juli 2023, Textstelle übersetzt von Susanne Wosnitzka.
[4] Fund von Susanne Wosnitzka. Vgl. Neue Augsburger Zeitung, No. 240. Dienstag, den 2. September 1862, S. 2.